Es war eine der unangenehmsten Erkenntnisse meines Politkstudiums: Viele Menschen in Deutschland haben xenophobe Einstellungen. Zwar war das jahrzehntelang nicht sichtbar, aber Fremdenfeindlichkeit ist weiter verbreitet als man denkt.
Es gibt Menschen, die haben starke Abneigungen gegen alles, was „nicht normal“ ist. Das zeigen Befragungen immer wieder. Seit mehr als 30 Jahren ist Deutschland so still und leise ein bisschen fremdenfeindlich. Ja, einige sind nicht nur rechts, sondern sogar rechtsextrem. Doch so richtig wahrnehmen konnte man das bislang nicht. Okay, der Osten, der war schon immer ein bisschen rechter als der äußere Flügel der CDU. Doch wen juckt das schon? Ist ja bloß der Osten. Vielleicht ein paar Studenten an einer Uni irgendwo in Mittelfranken. Vielleicht auch die Abgeordneten des sächsischen Landtags, die über mehrere Jahre Ansichten und Pöbeleien von Abgeordneten der anderen, damals eher angesagten rechten Partei ertragen mussten. Und so saß ich da in meiner Politik-Abschlussprüfung und schrieb nieder, wie es in Deutschland um den Rechtsextremismus und die Fremdenfeindlichkeit bestellt ist. Und ich dachte immer wieder, krass, wie offensichtlich das alles ist und wie wenig darüber geredet wird. Extremismus war einfach lange Zeit kein Thema. Damals ahnte ich nicht, dass diese latente, unterschwellige Xenophobie sich irgendwann auch im Verhalten der Menschen auf Bundesebene widerspiegeln würde – in Gewalttaten und im Wahlverhalten.
Und „plötzlich“ ist sie da
Wir schreiben das Jahr 2017: Es ist soweit, kaum sieben Jahre nach meinem Uniabschluss droht eine Partei drittstärkste Kraft im Bundestag zu werden, die dem deutschen Unbehangen ein Gesicht und eine Stimme gegeben hat. Seit einigen Jahren gibt es wieder täglich Angriffe gegen Flüchtlingsunterkünfte. Da ist sie, für viele plötzlich, für mich leider nicht unerwartet, die Xenophobie und Angst der Deutschen vorm Abstieg.
Tja, was geht mich das alles an, ist jetzt die Frage. Und, musste es nicht so kommen? Ist es nicht sogar nachvollziehbar, dass die Gefrusteten Vertreter wählen, die so ganz anders sind als die etablierten Politiker. Eben weil sie sich nicht mehr vertreten fühlen? Eine Partei, die ordentlich auf Konfrontationskurs geht und verspricht, es wird alles wieder besser. Mag sein, dass es so kommen musste. Um uns herum in Europa gibt es viele Parlamente, in denen die Rechte stark ist. Aber soll man deshalb stillschweigend zusehen?
Mir ist das alles nicht egal. Und auch wenn ich leicht reden habe mit meinem guten Job, dem sicheren Einkommen, dem von meinen Eltern finanzierten Studium… Ich weiß, dass es ungerecht zugeht in unserem Land, dass sich viele Menschen von der Politik im Stich gelassen fühlen und dass nicht alles gut ist, so wie die Merkel-CDU es uns glauben machen will. Aber ich weiß auch, dass bei der Wahl am Sonntag eine Partei antritt, die für sich proklamiert eine Alternative zu sein und in Wahrheit viel gefährlicher ist, als einige glauben.
Keine Alternative
Die Partei ist keine Alternative für Deutschland. Sie steht aus meiner Sicht für ein rückwärtsgewandtes Weltbild und möchte am liebsten mit Konzepten aus vergangenen Jahrzehnten punkten: Atomkraft, Ausweisung von Fremden, Abschaffung der Ehe für alle. Und viele werden sie wählen, nicht weil sie an die Inhalte glauben, sondern aus Protest und Verdruss.
Und das finde ich schlichtweg kacke. Es gibt in dieser Partei Strömungen und Tendenzen, die mir Sorgen machen. Ich möchte nicht, dass eine Partei für die Vielfalt und Toleranz problematische Begriffe sind die Opposition anführt und damit immer das erste Wort nach der Erklärung der Regierung hat. Ich möchte nicht in einem Land leben, in dem ich wieder ein Mensch zweiter Klasse bin, der nicht heiraten darf, dem nicht die gleichen Rechte zustehen.
Ich möchte nicht in einem Land leben, in dem gebildete Menschen eine Partei wählen, die das in ihrem Wahlprogramm schreibt*:
Eine einseitige Hervorhebung der Homo- und Transsexualität im Unterricht, wie sie die sogenannte „Sexualpädagogik der Vielfalt“ praktiziert, stellt einen unzulässigen Eingriff in die natürliche Entwicklung unserer Kinder […] dar. Dadurch werden Kinder und Jugendliche […] in Bezug auf ihre sexuelle Identität verunsichert, überfordert und in ihren Schamgefühlen verletzt. Die [Partei] stellt sich allen Versuchen klar entgegen, durch staatlich geförderte Umerziehungsprogramme in Kindergärten und Schulen das bewährte, traditionelle Familienbild zu beseitigen.
Es sind nur ein paar Sätze, aber die machen mir Angst. Große Angst.
In diesem Land hatte nie die Unterdrückung, der Hass und ein rassistisches Menschenbild die Mehrheit der Stimmen. Und dennoch ist es wie wir alle wissen zu den grausamsten und menschvernichtensten Untaten die Europa je gesehen hat, gekommen. Warum? Weil die Mehrheit geschwiegen hat. Weil das deutsche Volk weggesehen hat und die pöbelnde Minderheit hat machen lassen. Weil die Mehrheit Dinge erst verharmlost hat, sich dann mit Olympischen Spielen blenden lassen und schließlich hilflos zugesehen hat.
Geht wählen, nutzt eure Stimme. Lasst nicht die Lauten am Ende strahlen. Ich bitte euch sehr darum, geht wählt!
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* Zitiert aus dem Wahlprogramm. Ich habe an dieser Stelle bewusst auf eine Verlinkung verzichtet.
12 Comments
❤️
21. September 2017 at 18:04Danke für die Worte.
21. September 2017 at 18:16Super Text!❤️☮️
21. September 2017 at 18:32Du sprichst mir aus der Seele!
Ich hoffe so sehr, dass sich in diesem Jahr, zu dieser Wahl ganz viele zusätzliche Wähler aufraffen und (die richtige) Farbe bekennen!
Liebe Grüße
21. September 2017 at 18:47Ina
❤️
23. September 2017 at 10:25Ja.. man kann es nicht oft genug sagen. Danke für die klaren Worte!
23. September 2017 at 14:05Danke!!! Und ich hoffe sehr, dass heute ganz viele wählen gehen, die genauso denken, wie Du und ich!
24. September 2017 at 8:28AMEN!
24. September 2017 at 9:18Danke für deine Worte!
Wir DÜRFEN wählen….keine Selbstverständlichkeit!
Und genau deshalb ist es in meinen Augen Menschen- und Bürgerpflicht, es auch zu tun!!!
Jede Stimme, die aus Gleichgültigkeit oder Frustration NICHT abgegeben wird, spielt der Partei (oder den Parteien), die wir in unserem Land und unserem Leben so gar nicht wollen, in die Hände.
Ich will bunt, frei und freidenkerisch leben können – und deshalb gehe ich wählen.
24. September 2017 at 11:18Das ist das, was ich als Bürger dazu beitragen kann.
Danke!
24. September 2017 at 11:57Genau so.
24. September 2017 at 13:28Danke fürs auf den Punkt bringen.
X ist gemacht.
Andi
.. die auch nicht mehr ein Mensch zweiter Klasse sein will im diesem Land
Gänsehaut! Danke für Deine Worte!
24. September 2017 at 13:45