Hand aufs Herz, würdet ihr sagen, ihr liebt euch? Also nicht nur so ein bisschen mögen, sondern voll und ganz? Ich finde das gar nicht so leicht. Jennifer Angersbach ist personzentrierte Beraterin und Expertin, was das Thema Selbstliebe angeht. Im Interview verrät sie, warum wir uns oft selbst so kritisch sehen und räumt mit dem Mythos auf, dass wir uns selbst nicht loben dürfen.
Jennifer Angersbach arbeitet in Unna als Lebensberaterin, gibt Paaren Tipps für Ihre Beziehung und hat in der Einrichtungsleitung der Beratungsstellen für Schwangerschaft, Familie und Sexualität der AWO Ruhr Lippe Ems gearbeitet. Sie hat zahlreiche Einblicke in die verschiedenen Lebensphasen und Lebenswelten von Menschen bekommen können. Ihre Erkenntnis und feste Überzeugung: Wir sollten uns nicht immer mit anderen vergleichen, sondern ausschließlich mit uns selbst.
Woran kann es liegen, dass wir uns selbst oft kritisch begutachten und nicht so toll finden?
Oft liegt der Ursprung bereits in der Kindheit: Wurde ich nur geliebt, wenn ich brav und lieb war? Je mehr Anpassung von mir verlangt wurde, desto mehr Absicherung brauche ich von außen durch Vergleiche und Bewertungen. Wir orientieren uns am außen, am Durchschnitt an daraus resultierenden Standards oder Idealen. Was ist gut? Was ist schlecht? Wie schneide ich ab? Diese Wettbewerbsbetontheit kann sich auf jeden Bereich übertragen: Leistung, Aussehen, innere Werte gar der Umgang mit Gefühlen oder Krisen. Wir wollen immer mehr werden und vergessen zu sein. Setzen uns unter Druck, sind frustriert und ärgern uns darüber nicht „zu funktionieren“ und dieser Kreislauf begann bei vielen schon sehr früh – nur das sich damals unsere Eltern über uns ärgerten, wenn wir nicht „funktionierten“.
Und welche Schritte können wir unternehmen, um uns selbst mehr zu mögen?
Zunächst gilt es zu verstehen, woher das Unbehagen, die Selbstzweifel denn kommen. Ganz banales Beispiel: „Schulnoten“, wenn ich eine 3 habe, alle Anderen aber eine 1 oder 2, werte ich mich ab. Wäre die 3 jedoch die beste Klassenarbeit gewesen, würde ich mich gut fühlen.
Auch die Reaktion meines Gegenübers kann mich verunsichern, fordere ich zum Beispiel mehr Gehalt und bekomme es, bin ich erleichtert, vielleicht sogar stolz. Fordere ich mehr Gehalt und bekomme es jedoch nicht, ärgere ich mich vielleicht über mich selbst.
Bekomme ich öfter negative Reaktionen oder bin schlechter als der Durchschnitt, mag ich mich selbst nicht mehr, werde unsicher, zweifele, strenge mich mehr an oder/und bin frustriert und unzufrieden.
Daher ist es wichtig, sich dieser Dynamiken bewusst zu werden und sich eher mit sich selbst zu vergleichen und sich selbst zu bestärken. Eigenlob stinkt nicht, im Gegenteil!
Die romantische Liebe Hollywoods
Filme suggerieren uns, dass wir nur zu zweit als Paar wirklich glücklich sein können. Viele Menschen sind aber Single, haben ihren Partner verloren oder sind in anderen Beziehungsformen, die nicht traditionell sind. Plakativ gefragt, sind diese Menschen also verdammt, nie richtig glücklich sein zu können?
Jeder Mensch strebt nach Selbstverwirklichung, hierfür bedarf es keiner Beziehung oder Partnerschaft. Also nein, man ist nicht dazu verdammt unglücklich zu sein. Im Gegenteil. Doch gerade Menschen mit starken Selbstzweifeln, resultierend aus dem „Außen“ versuchen eben, sich durch „das Außen“ besser zu fühlen, sehnen sich nach einer Partnerschaft um Anerkennung, Nähe und Liebe zu erfahren. All das sind menschliche Bedürfnisse, die wir in uns tragen, wenn das ausbleibt, suchen wir den Fehler bei uns, versuchen uns anzupassen, das Gegenteil der Selbstverwirklichung tritt ein, denn wir verwirklichen nicht uns selbst, sondern streben nach einem, vom Außen gegebenen Ideal. Eine Partnerschaft dient dann teilweise als Mittel zum ‚falschen’ Zweck, denn gerade in der Liebe geht es um Akzeptanz, wenn ich jedoch nur geliebt werde, wenn ich „funktioniere“, dann fühlt es sich zwar sehr vertraut an, aber die innere Unruhe/Unzufriedenheit bleibt – auch mit Partnerschaft. Und ohne fühle ich mich abgewertet, weil mich niemand will.
Nähe, Liebe und Anerkennung lassen sich auch aus echten, bedingungslosen Freundschaften ziehen, in denen ich sein darf, wie ich bin und Andere sein dürfen, wie sie sind.
Eine allgemeine Weisheit lautet: Wer sich selbst nicht liebt, kann auch andere nicht lieben. Ist da etwas dran?
Definitiv nicht! Das gehört in die Kategorie: „Eigenlob stinkt!“ oder auch „Wenn Du Dich nicht selbst liebst, wie soll es dann ein Anderer tun?“
Wenn ich unzufrieden mit mir selbst bin, dann kann ich doch erst Recht Zuneigung empfinden, mich zu jemanden hingezogen fühlen und mich nach jemandem sehnen, durch den/die korrigierende Erfahrungen möglich werden. Eine akzeptierende, zugewandte Beziehung, in der ich sein kann wer und wie ich bin, ist so heilend. Es bedarf jedoch des Mutes mich so zu zeigen, wie ich bin, meine Stärken und Schwächen zu zeigen und genau dafür geliebt zu werden. Wenn ich mich verstelle, dann brauche ich mich auch nicht wundern das mich niemand wirklich sieht, wie ich bin.
Viele ältere Frauen können mit den Begriffen Selbstliebe und Selbstfürsorge wenig anfangen. Sie sind damit aufgewachsen vor allen Dingen für andere da zu sein und sich selbst nicht so wichtig zu nehmen. Könnte das problematisch sein?
Das könnte nicht nur problematisch sein, das ist es. Es gibt so viele Generationen, die mit falschen und zum Teil destruktiven Glaubenssätzen aufgewachsen sind. Selbstliebe wurde (und wird) mit Egoismus gleichgesetzt. Doch jemand der sich selbst liebt, der nimmt was er braucht und gibt, was er kann. Ein Egoist jedoch, der nimmt alles was er kriegen kann – ohne Rücksicht auf Andere. Selbstfürsorge und Selbstliebe bedeuten, dass man sich im Flugzeug eben zu erst selbst die Sauerstoffmaske aufsetzt, bevor man Anderen dabei hilft. Nicht mehr und nicht weniger.
Selbstliebe lernen: Akzeptanz ist Voraussetzung
Die Akzeptanz von eigenen Fehlern und vermeintlichen körperlichen Schwachstellen, ist oft Thema in Zeitschriften. Eine Seite weiter geht es dann darum möglichst attraktiv zu sein, abzunehmen oder sich perfekt zu schminken. Wie passt das zusammen?
Gar nicht. Und doch möchte ich einen Erklärungsversuch starten: Akzeptanz bedeutet nicht, dass ich etwas gut finden muss. Und damit geht es schon los. Etwas, was ich nicht haben will, möchte ich nicht akzeptieren, aus Sorge, dass es dann so bleibt. Doch das Gegenteil ist der Fall.
Wenn ich mich so akzeptiere, wie ich bin, dann habe ich genug Kapazitäten mich wirklich zu ändern, statt zu resignieren, mich zu verstellen und mich damit selbst auch nicht gut zu fühlen.
Wie soll ich etwas verändern, loslassen, was ich nicht haben will, nicht annehme, gegen das ich mich wehre? Erst wenn ich es annehme, kann ich etwas loslassen.
Woher kommt denn beispielsweise mein Übergewicht? Durch mein vieles Essen, das kurzfristig für Wohlbefinden sorgt? Okay. Habe ich denn Alternativen, die mich gut fühlen lassen? Falls nicht, sollte ich mich eher damit beschäftigen, als mich permanent zu begrenzen und zu bestrafen. Denken Sie mal nicht an ein Stück Torte! Was passiert? Sie denken an Torte! Wer ständig nur ans „nicht essen“ denkt, hat permanent Hunger.
Gibt es einen Zusammenhang zwischen Selbstliebe und Egoismus? Oder schließt das eine das andere aus?
Es schließt sich tatsächlich aus. Wenn ich nur an mich denke, dann habe ich offenbar einen so großen Mangel in mir, der mir suggeriert, dass ich alles nehmen muss, was ich kriegen kann. Vermutlich als Resultat von Erfahrungen nicht gesehen zu werden. Der Mensch ist gut. Wenn jemand um Hilfe bittet, ist die Wahrscheinlichkeit deutlich höher sie zu bekommen, als wenn ich es nicht tue. Ich kann nicht alles alleine schaffen oder mir alles alleine geben. Bitte ich nie um Hilfe, aus Angst eine Last darzustellen oder so schwach zu wirken, wie ich nun mal bin, weil ich meine Schwäche selbst nicht akzeptiere, dann werde ich nicht gesehen, bekomme keine Hilfe und werte womöglich gar Andere ab, die mich um Hilfe bitten. Ich sage: „Nein!“ und denke: „Mir hilft ja auch niemand!“ Egoismus ist meist das Ergebnis mangelnder Selbstliebe. Und Selbstliebe bedeutet nichts Anderes als Akzeptanz: Ich bin so wie ich bin. Das ist gut. Und was nicht ist, kann ja noch werden.
Vielen Dank für das Gespräch!
PS: Wenn ihr mehr zu Jennifers Arbeit erfahren wollt, schaut doch mal auf ihrer Website vorbei oder hört euch ihren Podcast an ♥
Fotos: unsplash.com / rocknwool, Sincerely Media
No Comments