Wir kennen sie alle von Instagram: Orte, irgendwo in der Provinz, die durch besonders fotogene Motive glänzen. Sei es der Königsee in Bayern, die malerische Rakotzbrücke im tiefsten Sachsen oder die Schmalspurbahn im Harz. Tausendfach werden Bilder von diesen Sehenswürdigkeiten täglich in den Instagram-Feed gespült und millionenfach geherzt. Ist das eigentlich bedenklich, dass der Instagram-Algorithmus darüber entscheidet, was ich von der Welt sehe und was nicht?
Denn viele suchen sich ihre nächsten Reiseziele eben nicht mehr danach aus, wo man gut wandern, Kaffeetrinken oder eine interessante Ausstellung besuchen kann. Stattdessen wird darauf geachtet, wie viel Instapotential die Location hat. Auch an mir gehen die tollen, teils atemberaubenden, teils arg gelightroomten und gephotoshopten Naturschönheiten natürlich nicht spurlos vorbei.
Ganz im Gegenteil. Als Angela neulich davon sprach, in den Harz fahren zu wollen, war mir sofort klar, dass es ihr vermutlich weniger um den Brocken als vielmehr um die Dampflock ging, die eben diesen elegant und nostalgisch anmutend erklimmt. Ein wirklich grandioses Motiv. Irgendwo zwischen Harry Potter und Polar Express. Ich wollte mit. Nicht, weil dieser Zug auf irgendeiner Insta-Location-Liste stand, sondern weil ich sehen wollte, wo diese vielen Bilder gemacht wurden, die ich so gut von Instagram kannte.
Und natürlich dachte ich auch daran, wie die dampfende Lock sich ihren Weg durch den Schnee schlägt und ganz vortrefflich in meinem Account viele Herzen abbekommen würde. Doch es kam auch der Gedanke auf, ob das Motiv nicht viel zu abgegriffen ist. Und ist die Fahrt von 3 1/2 Stunden nicht viel zu lang, um einen blöden Zug zu fotografieren?
Noch viel schlimmer: Ich verdiene mit meinem Account ja nicht einmal Geld. Würde ich das tun, könnte ich es super rechtfertigen, den Sonntag zu opfern, um durch die Republik zu gondeln. Hallo? Ist ja schließlich Arbeit. Und für die Arbeit kann man auch mal einige Strapazen auf sich nehmen, man wird ja dafür schließlich auch höhö, im wahrsten Sinne des Wortes entlohnt.
Nun gut, wie gesagt, ich verdiene mit Instagram kein Geld. Und überhaupt, wie häufig kann man bitte einen Zug posten, der dampfend durch eine Winterlandschaft fährt? Joa, so ein Mal pro Quartal vielleicht. Bei anderen Accounts, die die Harzer Schmalspurbahn mehrfach innerhalb einiger Wochen posteten, fand ich das jedenfalls ziemlich, ja was eigentlich, einseitig? Ist doch im Prinzip jedem selbst überlassen, wie häufig er was zeigt.
Doch das war nicht das einzige „Problem“, das ich mit unserem Tagestripp hatte. Auf eine komische Art und Weise empfand ich es als unangebracht, einen Ort aufzusuchen, nur weil ich ihn von Instagram kannte. Jetzt könnte von euch zu recht der Einwand kommen, dass es doch total latte ist, warum man Dinge macht oder lässt, so lange man Freude daran hat und niemandem schadet. Korrekt. Dagegen kann ich nur mit meinem Empfinden argumentieren. Ich empfand es im ersten Moment einfach nicht als richtig.
Ist es nun also verwerflich, dass uns die Foto- und Video-App Instagram Brücken, Schlösser und Naturschauspiele zeigt, die man auch mal „in echt“ sehen und fotografieren will? Verändert Instagram gar unsere Wahrnehmung auf eine negative Art und Weise, weil sie uns ständig vor Augen führt, wie geil manche Foodies Lebensmittel arrangieren können, während man selbst Haferschleim ist? Wie auf unserem Tisch allenfalls ein paar Krümel liegen statt kunstvoll drapierte Leinentücher und frische Kräuter? Vergleichen wir uns dadurch und werden unglücklich aufgrund unseres schäbigen, kleinen Lebens? Denn auch wenn wir uns tausend Mal sagen, dass bei andern Leuten die Wohnung auch nicht weißer, die Kinder lieber oder eben die Reiseziele spektakulärer sind, tief in unserem Inneren macht das doch was mit uns, wenn wir all diesen Accounts folgen. Oder etwa nicht?
Aber zurück zum Polar-Express. Ich habe lange überlegt, wie ich euch diesen präsentiere. Denn, so viel ist klar, ich habe mich für die Fahrt in den Harz entschieden und genau das Foto mitgebracht, das ich im Vorfeld erwartet hatte. Aber, und das meine ich jetzt ganz ernst: Ohne Instagram wäre ich an besagtem Sonntag nirgends hingegangen. Ich hätte mein Bad geputzt, vielleicht ein Bananenbrot gebacken und irgendeinen Quatsch im Internet angeguckt. Dank der Brockenbahn, und eben Menschen, die diese ins Netz stellen, bin ich überhaupt erst auf die Idee gekommen in den Harz zu fahren. Denn der Harz war für mich gedanklich bis dahin lediglich als Rentnerparadies im Osten gespeichert.
Und was ist schlimm daran, dass viele Instagramer in der Natur rumlaufen und auf der Suche nach dem einen Motiv sind? Eigentlich ja nichts. In der Zeit streiten sie sich nicht mit ihrem Partner oder posten Hasstiraden bei Facebook. Ganz im Gegenteil, sie sind aktiv und vor allem, begeistern sie sich für etwas. Eine Fähigkeit, die ich selbst nicht so gut beherrsche. Und genau deshalb zählen die Bedenken, die ich hier eingangs formuliert habe zumindest für mich nicht so sehr. Oder anders, es überwiegen einfach die positiven Dinge, wenn ich ein wenig darüber nachdenke, was Instagram mit mir macht.
Denn, seitdem ich Instagram intensiv nutze, habe ich unzählige neue Rezepte ausprobiert, das Ruhrgebiet durch ganz andere Augen gesehen und habe eben Orte besucht wie den Harz. Das kann man jetzt etwas einseitig oder oberflächlich finden. Ich persönlich finde es oft als inspirierend. Instagram gibt mir den nötigen Schub, um Dinge selbst zu erleben. Und das ohne, dass ich es als stressig empfinde. Für mich ist das wirklich ein kleines, kostenloses Geschenk.
Zudem bin ich zum Glück nicht darauf angewiesen, Geld mit Instagram verdienen zu müssen. Das heißt, ich muss keinen einheitlichen Feed haben, jeden Tag etwas posten oder thematisch in einer Nische hocken. Ich glaube, das würde mir sehr schwer fallen.
Natürlich vergleiche ich mich auch ab und zu mit anderen, die scheinbar schönere Wohnungen und tollere Leben haben. Aber das hält sich dann doch zum Glück in Grenzen. Sollte es mal anders werden, könnte Instagram wirklich zur Hölle werden. Zwar will ich niemandem absprechen, dass er weiß, dass hinter den Accounts Menschen mit Sorgen und Problemen stecken, doch ganz ehrlich, machen wir uns das auch zu jeder Zeit bewusst?
Eine weitere Erkenntnis, die ich für mich nicht nur anhand dieses Mediums in den letzten Jahren gewonnen habe: Instagram verstärkt das, was schon in einem vorhanden ist. Bin ich zum Beispiel grundsätzlich unzufrieden mit meinem Leben, muss Instagram ein schlimmer, oberflächlicher Ort für mich sein, voller Neid und Selbstdarstellung. Ist das der Fall, kann ich mich nur bei all den schönen Bildern schlecht fühlen.
Bin ich aber cool mit mir und dem, was ich so im Leben mache, ist Instagram eine echte Bereicherung. Ich kann mich mit anderen freuen und interessante Orte entdecken oder einfach hübschen Dekokram anschauen. Denn wir dürfen nicht vergessen: Instagram ist zunächst einmal nur eine App, mit der ich Bilder und Videos teilen kann und mit anderen in Kontakt treten. Nicht mehr, und nicht weniger. Instagram wird erst dadurch, wie wir es benutzen zu dem, was es für uns ist. Und das ist eigentlich ganz wunderbar.
7 Comments
Absolut treffend geschrieben. Eigentlich wollte ich nur mal hier lassen, wo denn bloss dein „like“-Knopf ist. Deine Schreibe gefällt mir. Grosses smile bei dem hier: „… während man selbst Haferschleim ist?“ Hm, was jetzt „ist“ oder „isst“? Autokorrektur oder Wortspiel? Wie auch immer, die Fotos sind jedenfalls klasse. Herzlich, Sibylle
16. Februar 2018 at 20:25Haha, besten Dank. Das war natürlich Absicht… Und du hast es entdeckt. Sehr aufmerksam gelesen 🙂
17. Februar 2018 at 9:53Genau so ist es. Ich bin ja nach wie vor großer IG Fan, auch wenn ich zur Zeit mal wieder etwas im Winterschlaf liege diesbezüglich. Aber ich nutze es nach wie vor tagtäglich um in die Welt zu gucken. Begleite Menschen bei Einkäufen, ihren Urlauben, schaue mir Landschaften an oder schöne Deko. Früher habe ich dafür teuer in Zeitschriften investiert… ich glaube nämlich, dass man „früher“ durchaus ähnlich konsumiert hat, wenn auch vielleicht etwas weniger – dafür musste man allerdings auch noch zahlen. Und wenn ich an das Buchen eines Urlaubs oder eines Ausflugs denke, dann war das ja damals auch nicht viel anders. Man sah eine location in einer Zeitschrift, im TV oder sonstwo und wollte dahin. Zur Erholung, weil man es sehen wollte – aber vielleicht auch, weil man beim Diaabend bei Familie und Freunden ein wenig prahlen wollte? Ich weiß es nicht aber ich denke, sooo unterschiedlich ist das gar nicht.
17. Februar 2018 at 9:48Sei es wie es sei, ich glaube, du hattest einen tollen Tag und außerdem sind die Fotos super schön!
Hallo Julius, absolut nachvollziehbare Kiste mit Insta 🙂 Viele lassen sich von IG inspirieren (Wir natürlich auch) und bekommen dann entsprechende Impulse für eine Reise wo hin auch immer…Es sind ja auch sehr schöne Orte die hinter vielen Motiven stecken, die man dann auch gerne erkunden möchte. Ein klasse Bericht vom Polarexpress mit sehr schönen Bildern ist doch daraus entstanden. Über Deinen Blog zeigst Du ja noch viele andere Facetten Deiner Reise.
Für Ruhrpottblick läuft es ähnlich, zwar kommt der Anschub nicht immer über Instagramm aber sehr häufig. Sind die Motive in kurzer Zeit erreichbar, dann mal eben los…Aber einige Orte sind doch weiter weg und dann beginnt die Planung rund um das Objekt der Begierde, das dann mit einer schönen Kurzwanderung auch gut kombinieren kann. Z.B. eine Landmarke einer Halde kombiniert mit einem See oder einem Landschaftspark etc..
Und die Recherche läuft dann natürlich in der Bloggerspähre und dankenderweise landet man dann auf solche Berichte, wie von Dir 🙂
Vielen Dank für die schönen Impressionen und Infos.
Gruß
17. Februar 2018 at 13:52Thomas
Hallo Julius, die Frage, inwieweit diese sozialen Netzwerke bzw der Wunsch nach Anerkennung unsere Wahrnehmung und womöglich unser Verhalten beeinflusst, finde ich sehr interessant. Es kann eine Chance sein, Neues kennenzulernen und auszuprobieren. Aber wie du schreibst ist es auch irgendwie seltsam, dass mehr und mehr Entscheidungen unseres Lebens von Algorithmen beeinflusst werden…
18. Februar 2018 at 21:34Liebe Grüße,
Amely
Hallo Amely,
19. Februar 2018 at 10:34vielen Dank für deinen Kommentar. Ich habe ihn gerade erst gesehen 🙂 Das mit den Algorithmen finde ich halt echt bedenklich. Wenn sie wenigstens passend wären. Mich nervt der bei Instagram sehr…
Liebe Grüße
Julius
Ja, das stimmt. Wir werden ja nicht nur in puncto Reiseziele von Algorithmen beeinflusst, sondern auch was Kaufentscheidungen oder die Informationsauswahl betrifft. Die Algorithmen sind ja so programmiert, dass sie uns das zeigen, was wir bisher (vermeintlich) gut fanden. Da kann man sich dann schon mal fragen, ob so nicht die Serendipity, also die unerwartete glückliche Entdeckung, langsam aus unserem Leben verschwindet. Darüber habe ich hier mal geschrieben: http://www.pfauen-auge.de/2017/07/07/serendipity/
21. Februar 2018 at 8:30Vielleicht interessiert es dich ja?
Liebe Grüße,
Amely