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Klein, aber kulturell oho: Weimar gilt als die Stadt der Dichter und Denker. Johann Wolfgang von Goethe wohnte hier 50 Jahre seines Lebens. Schiller trieb auch sein Unwesen in der Kleinstadt in Thüringen. Ein Besuch im Sommer, der auch mich zum Denker machte und zu einem Bericht mit fast keinen Reisetipps für Weimar führte.
Inhalt
Thüringen – eine Reise mit Erwartungen
Vorweg sei gesagt, ihr werdet in diesem Blogpost nicht so viel Neues über Goethe und Schiller lernen. Und überhaupt wird der ganze Beitrag wenig interessant für alle, die einen klassischen Reisebericht erwarten. Also keine Aneinanderreihung von Sehenswürdigkeiten. Denn mein Besuch in Weimar verlief vermutlich ganz anders ab als für den typischen Weimar-Touri: Kein Bauhaus-Museums, auch Goethes Wohnhaus ließ ich links liegen. Ich konnte mich nicht einmal aufraffen, da hinzulaufen. „Skandal!“, werdet ihr jetzt sagen und habt damit vermutlich recht.
Bei Instagram hatte ich vor einigen Wochen bereits angedeutet, was mich statt Goethe und Schiller in Thüringen gedanklich beschäftigt hat: Meine eigne Unkenntnis, Vorurteile über „den Osten“, die ich nach wie vor in mir herumtrage und eine Leere, mit der ich kaum klar gekommen bin.
Was jetzt alles höchst dramatisch klingt und damit ja zu den Dichtern und Denkern wieder gut passen würde, ist eigentlich nicht viel mehr als eine Reise zu mir selbst. Denn ich glaube nicht, dass ich objektive Beobachtungen beim Besuch von Apolda, Weimar und Bad Sulza gemacht habe, sondern dass mir die fremde Umgebung besonders im Kontrast zu meiner New York-Reise, die ich wenige Wochen zuvor unternahm, einen besonderen Blickwinkel brachte.
Ich spreche in Rätseln. Lasst es mich so ausdrücken: Kennt ihr das, wenn ihr einen Roman lest und ihn ganz gut findet, er euch aber jetzt auch nicht so mega vom Hocker reißt. Ein paar Jahre später lest ihr das gleiche Buch dann noch einmal und plötzlich fallen euch ganz andere Dinge auf. Obwohl es haargenau die gleichen Worte auf dem gleichen Papier sind, lösen diese Worte andere Gefühle in euch aus. Den Unterschied macht nicht der Roman, sondern eure Einstellung zum Stoff, eure Lebenserfahrung und die Situation, in der ihr euch zum jeweiligen Zeitpunkt des Lesens befindet.
Was Rainald Grebe über Thüringen singt
Und so ging es mir mit Weimar. Also nicht, dass ich da ein Buch gelesen hätte oder schon einmal da gewesen wäre. Aber der Ausflug aufs Land brachte mich ein Stück weit zu mir selbst. Und vor allem bin ich fest davon überzeugt, dass man das Weimarer Land aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten kann. Je nachdem, mit welchen Erwartungen man anreißt. Auch das zeigten mir die Reaktionen bei Instagram zu meinem Foto.
Meine Erwartungen waren groß: Ich wollte da schon immer mal hin. Die Stadt sollte soooo schön sein, hatte ich gehört. Und soooo bedeutend, hatten die Leute gesagt. Die Stadt schlechthin im Osten, hatten einige gemeint. So viele Menschen aus meinem Umfeld waren mit ihrem Deutsch-LK oder privat bereits in Weimar. Und ich? Tja, ich war mal in Dresden und sehr oft in Berlin. Erfahrungen mit Thüringen hatte ich bislang keine. Die beschränkten sich auf das Lied von Rainald Grebe, in dem es heißt:
Thüringen
Das Land ohne Prominente
Naja gut, Heike Drechsler
Aber die könnte auch aus Weißrussland seinThüringen, Thüringen, Thüringen
Ist eines von den schwierigen Bundesländern
Denn es kennt ja keiner außerhalb von ThüringenThüringen, Thüringen, Thüringen
Das grüne Herz DeutschlandsSeit wann sind Herzen grün?
Grün vor Neid aufgrund Bedeutungslosigkeit
Grün vor Hoffnung, dass es lange Zeit so bleibt
Weimar – die Anreise
Die Entschleunigung begann bereits auf der Hinfahrt. Wir sind aus dem Pott über die A40 erst einmal ins beschauliche Sauerland gedüst und dort eine Nacht geblieben. Dieser Teil NRWs ist schon so ganz anders als Köln, Düsseldorf oder eben das Ruhrgebiet. Ruhig, bergig, immens grün. Wer von NRW nach Thürnigen fährt, quält sich und sein PS-schwaches Auto auf dem Weg über die Kasseler Berge. Vorbei am Amazon-Lager in Bad Hersfeld und über die A4 an Erfurt vorbei. Und dann folgt das lange Nichts.
Statt direkt in Weimar abzusteigen, hatten wir nämlich einen Kuraufenthalt in Bad Sulza gebucht – der „Toskana des Ostens“, wie sich die Gegend selbst bezeichnet. Um dort hinzukommen, muss man lange, sehr lange über Landstraßen fahren. Gefühlte Stunden (vermutlich waren es nur 40 Minuten), vorbei an Feldern, durch Siedlungen mit Namen wie Niedertrebra, Obertrebra, Apolda und vorbei an Niederroßla. Wir haben diese Orte einige Male durchquert an dem langen Wochenende im Juni. Gesehen habe ich ganze drei Menschen, wenn man die Autofahrer, die uns entgegenkamen, nicht mitzählt.
Apolda und die Leere
Als wir am Freitagabend in Apolda auf dem neu-gestalteten Marktplatz etwas essen wollten, waren auch hier kaum Leute zu sehen. Und das, obwohl es ein schöner Sommerabend war. Der Platz machte eigentlich viel her und wir wunderten uns schon, warum die wenigen Lokale so leer sind. Apolda hatte Ende der 80er Jahre 30.000 Einwohner, heute sind es knapp 20.000 und das trotz einiger Eingemeindungen in den letzten Jahrzehnten verrät mir Wikipedia. Das könnte eine Erklärung sein.
Irgendwie überkommt mich in Städten, die schrumpfen, immer ein merkwürdiges Gefühl. Ich kann da ganz schlecht mit umgehen. Klar, dass ist kein reines Ost-Ding. Auch in einigen Ruhrgebietskommunen sieht man, dass früher da mal mehr los war. Doch statt in bröckelnder 60er-Jahre-Fassade wie in Oberhausen-Irgendwas saß ich in Apolda auf einem schnieken Marktplatz, hübsche Häuschen um mich herum, alles durchsaniert. Und in mir kam die Frage auf: Für wen hat man das hier gemacht?
Es geht mir dabei nicht darum, dass das vermutlich Steuergelder oder EU-Gelder gekostet hat und ich Soli zahlen muss während im Westen die Straßen kaputt sind und so weiter. Geschenkt. Das ist nicht mein Punkt. Es ist die Ruhe, die mich nervös machte in Apolda. Ein Platz, offensichtlich früher deutlich belebter, der auf Menschen wartet, die nicht kommen. An dem Abend ging es dann zurück nach Bad Sulza. Ideal, um diesen Eindruck der Entschleunigung und Entleerung noch zu bekräftigen. Denn der Ort Bad Sulza ist mit der Toskana-Therme und der Kurklinik im 70er-Jahre-Plattenbau-Charme das Rentner-Paradies schlechthin. Aber immerhin war hier gefühlt mehr los.
Zwei Mal Goethes Gartenhaus
In Bad Sulza steht übrigens der Nachbau von Goethes Gartenhaus. Es wurde zum Kulturstadtjahr 1999 errichtet, hat also keinerlei historischen Wert. Macht nichts, ein Disneyland für Goethe-Fans, die es aus der Kurklinik eben nicht mehr bis nach Weimar schaffen. Denn hier steht das Original, in dem Goethe wirklich gewohnt hat. Was uns endlich in die Stadt bringt, um die es hier eigentlich gehen soll.
Von 1794 bis lediglich 1805 dauerte die gemeinsame Schaffenszeit von Goethe und Schiller in Weimar. Ein paar Jahre nur, die bis heute nachwirken und die Stadt in Thüringen zu einem beliebten Tourismus-Ziel machen. Mehr als 700.000 Gäste übernachten hier jährlich und wandeln auf den Spuren der Dichter – und das in einer Stadt mit lediglich 65.000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Dennoch wirkte das Städtchen Mitte Juni alles andere als überlaufen.
Zu besichtigen gibt es nicht nur Goethes und Schillers Wohnhäuser in denen heute Ausstellungen untergebracht sind, sondern auch das Neue Museum Weimar sowie das Bauhaus-Museum mit Werken von Walter Gropius und Johannes Itten. Also habe ich gehört, ich stand ja nur davor und bin in keinem einzigen Museum selbst gewesen.
Doch nicht nur das kulturelle Erbe wird in Weimar sichtbar, auch politisch ging die Stadt mit der verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung in die Geschichte ein. Hier tage das Parlament in der Anfangszeit der ersten deutschen Republik, der Weimarer Republik, die von 1918 bis 1933 bestand.
Reisetipp Weimar: Park an der Ilm
Die schnuckelige Kleinstadt Weimar bietet ihren Gästen viel Grün, einen wunderschönen Park und ein romantisch anmutendes Winzerhaus aus dem 16. Jahrhundert, das heute als Goethes Gartenhaus bezeichnet wird. Ich erwähnte die Replik ja bereits. 1776 zog Goethe hier ein, renovierte es und ließ einige Dinge umbauen. 1782 ging es für Goethe dann in die Stadt: Das Haus im Park war ihm schlicht zu klein geworden. Hier hatten all seine Bücher einfach keinen Platz. Gegen ein paar Euro Eintritt ist es zu besichtigen, der kleine, gut gepflegte Garten am Haus ist kostenfrei. Und den empfehle ich euch sehr. Allgemein ist der Park eine Wucht mit einem ganz besonderen Flair.
Ich weiß nicht, ob es an oben beschriebener, besonderer Stimmung lag, aber ich wandelte hier umher und hatte irgendwie nicht das Gefühl im Jahr 2018 in einer öffentlichen Grünanlage zu sein. Und auch hier wieder der Vergleich. Kurze Zeit zuvor war ich in New York viel im Madison Sqaure Park am Flatiron. Ein gepflegter Grünstreifen samt Fast Food-Laden, Personal, das für Ordnung sorgt und konstantem Grundrauschen des Straßenverkehrs. Metropolen-Feeling deluxe. Also alles andere als ruhig und beschaulich.
Wer den Park an der Ilm in Weimar verlässt und durch die Gassen schlendert, dem wird das Stadtschloss ins Auge fallen. 1535 nach mehreren Bränden errichtet, beherbergte es unter anderem Herzog Johann von Sachsen-Weimar, der es überregional bekannt machte. Ein weiteres Feuer im Mai 1774 drohte das Schloss komplett zu zerstören. Doch dank Goethes Hilfe begannen 1789 die Planungen zum Wiederaufbau. Heute finden Touristen am Ende des Ilmparks ein Museum mit kunsthistorischer Ausstellung und einem Schwerpunkt auf Malerei zwischen 1500 und 1900 in den alten Gemäuern.
Jetzt habe ich doch ein bisschen angelesenes Wissen zu Weimar festgehalten. Denn ich will dem Städtchen nicht absprechen, dass es sehr bedeutend ist und auf jeden Fall eine Reise wert. Für den einen eben wegen Goethe und Schiller, für mich, um festzustellen, dass ich wenig weiß über Deutschland. Ich kenne NRW ganz gut, habe mal eine zeit lang in Franken gewohnt, doch viele Flecken in Thüringen, Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg kenne ich überhaupt nicht. Das sollte ich ändern. Und meine Erwartungen überprüfen.
Wenn ich schon dabei bin, hier noch ein paar Highlights, die ich bei meiner Recherche immer wieder gelesen habe …
Das bietet die Stadt Weimar ihren Gästen
- Park an der Ilm – Weimars grüne Oase: acht Hektar großer Landschaftspark in der Nähe zur Altstadt, inkl. Fluss und Goethes Gartenhaus
- Goethe-Nationalmuseum mit Wohnhaus: im barocken Stil erbautes Haus am Frauenplan, wurde nach Vorgaben des Dichters umgebaut
- Herzogin Anna Amalia Bibliothek: 2007 wiedereröffnete Forschungsbibliothek für Literatur- und Kulturgeschichte mit prächtigem Rokokosaal, Vorbestellung von Eintrittskarten wird empfohlen
- Altstadt: Stadtrundgang oder Altstadtführung „Klassisches Weimar“, angeboten vom Stadtmarketing
- Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald: historische Gebäude und Denkmale sowie Dauerausstellungen zum Konzentrationslager der Nationalsozialisten
Wenn ihr da seid, solltet ihr vermutlich diese fünf Dinge auf eure To Do-Liste schreiben und nicht so planlos wie ich umherirren. Ach so, und einen Gastro-Tipp habe ich noch. Natürlich habe ich passend zum Feeling, was ich in Thüringen hatte, mich dem lokalen Essen unbewusst total verweigert. Statt Rostbratwurst und Klöße gab es Burger und Pommes. Die sind bei „Franz & Willi“ sehr gut. Ich hatte einen leckeren Chicken Caprese-Burger, schmackhafte Süßkartoffelpommes und eine Bio-Limo.
Im nächsten Urlaub befasse ich mich dann wieder mehr mit dem Ort, an dem ich bin und weniger mit mir selbst, versprochen.
6 Comments
Dieses unheimliche Gefühl auf einem leeren schnieken Platz hatte ich im Osten auch schon. Auf einer Radtour an der Unstrut entlang in Nebra! Da in der Nähe haben sie diese berühmte Himmelsscheibe gefunden und ihr extra ein Museum gebaut. In Nebra selbst haben wir übernachtet und wollten abends etwas essen – das war schwierig!!! Alles schick, alles saniert – aber alles leer. Geradezu tot, möchte man sagen. Unheimlich! In einer sehr kleinen Eisdielen-Grill-Gaststube (bzw. auf dem sehr kleinen Platz davor) haben wir dann lecker gegessen, wurden von den Einheimischen, die das als letzte Bastion und Stammkneipe nutzten, mit Klopfen-auf-den-Tisch begrüßt und verabschiedet – und haben vom Wirts-Ehepaar auch einiges über „früher und heute in Nebra“ erfahren. Zusammenfassung: alle jungen Leute sind weg. Irgendwie beklemmend…
28. Juli 2018 at 19:12In Weimar waren wir auch mal – auf der Ilmenau-Radtour; auch ohne Goethe und Schiller, aber mit Rostbratwurst und einer sehr netten Jugendherberge.
Es ist glaube ich gut, immer mal wieder im „Osten“ zu sein (von hier, Nähe Hannover, ist das ja auch deutlich näher dran) und dann dort möglichst etwas von den Leuten zu hören. Spannend!
Grüße von Ute
Liebe Ute, wie interessant zu lesen! Ich möchte als nächstes auf jeden Fall mal nach Erfurt und einige haben mir damals unter mein Bild auch ein paar Sachen geschrieben, die ich sehr spannend fand. Für mich war das schwierig, ein Gefühl zu erläutern ohne das es überheblich oder abwertend ggü. der Region rüberkommt. Denn so ist es absolut nicht gemeint. Aber oft ist ja auch nicht so gemeint trotzdem doof. Lieben Gruß
28. Juli 2018 at 19:17„… doch viele Flecken in Thüringen, Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg kenne ich überhaupt nicht.“ Mhhh, Sachsen-Anhalt ist dann wohl der unbekannteste Fleck unter den unbekannten Flecken?!
Mir geht es mit mit vielen Regionen in Deutschland aber ähnlich. Tatsächlich sollte man viel mehr Deutschland bereisen, statt immer nur in die Ferne zu schweifen. Danke für den Denkanstoß.
1. August 2018 at 9:28So unbekannt, dass ich das Bundesland nicht einmal aufgeführt habe. Oooops.
1. August 2018 at 9:33Wie toll über Weimar bei dir zu lesen, ich möchte auch noch diesen Monat mal wieder hinfahren! Einige Ecken auf deinen Fotos, besonders der Park an der Ilm, kommen mir bekannt vor. Und Bauhausmuseum und Goethes Wohnhaus habe ich auch noch nie betreten, aber stehen auf der Liste!
6. August 2018 at 17:29Liebe Grüße!
Dann wünsche ich dir ganz viel Spaß und berichte mal!
10. August 2018 at 11:32